Vorlage - MUE/2021/322  

Betreff: Bauantrag für den Neubau von zwei Putenställen im Außenbereich der Gemeinde Müden (Aller)
hier: Beschluss zum gemeindlichen Einvernehmen gemäß § 36 BauGB
Status:öffentlich  
  Aktenzeichen:60
Beratungsfolge:
Verwaltungsausschuss der Gemeinde Müden (Aller) Vorberatung
Gemeinderat Müden (Aller) Entscheidung
18.03.2021 
24. Sitzung des Rates der Gemeinde Müden (Aller) ungeändert beschlossen     
Anlagen:
Übersichtsplan_  
Versagung des gemeindlichen Einvernehmens  

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Beschlussvorschlag:

 

 

Der Rat beschließt, das gemeindliche Einvernehmen aufgrund entgegenstehender öffentlicher Belange zu versagen.

 

Der Rat beschließt das in der Anlage beigefügte Anschreiben der Gemeinde Müden (Aller) gemäß § 36 Baugesetzbuch zum Bauantrag für den Neubau von zwei Putenställen in der Gemarkung Müden (Aller).

 

 

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Sachverhalt:

 

Beschreibung des Bauvorhabens

 

Am 21.01.2021 ging bei der Gemeinde Müden (Aller) ein Antrag auf Baugenehmigung für den „Neubau von zwei Putenställen mit vier Futtersilos und vier Sammelgruben und einer Strohhalle“ ein. Der Bauantrag wurde durch folgende Unterlagen ergänzt: Gutachten zu Geruchs-, Ammoniak- und Staubimmissionen sowie Stickstoffdeposition (20.307), Naturschutzfachliche Ergänzung zum Immissionsgutachten 20.307, Erfassung von Biotoptypen – Erläuterungsbericht –, Landschaftspflegerischer Fachbeitrag sowie ein Brandschutzkonzept.

 

Insgesamt sollen in den Stallgebäuden 14.800 Mastputen untergebracht werden. Des Weiteren wird die Errichtung von vier neuen Futtersilos, vier Stahlbetonfertigteil-Erdbehältern zum Auffangen des Reinigungswassers und zwei Gastanks kleiner als 3.000 kg sowie einer Strohhalle beantragt.

 

Gemeindliches Einvernehmen gemäß § 36 Baugesetzbuch (BauGB)

 

Für das oben genannte Vorhaben ist im Zusammenhang mit dem Baugenehmigungsverfahren das gemeindliche Einvernehmen gemäß § 36 BauGB erforderlich. Die Notwendigkeit und die inhaltlichen Regelungsspielräume des gemeindlichen Einvernehmens werden nachfolgend erläutert.

 

Über die Zulässigkeit von (Bau)Vorhaben wird in der Regel durch die Untere Bauaufsichtsbehörde als zuständige Verwaltungsbehörde entschieden. Dabei wird vornehmlich die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Vorschriften bei der Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung sowie Nutzung, Instandhaltung und Abbruch baulicher Anlagen geprüft. Die Aufgabe der Bauaufsicht wird hierbei durch den Landkreis Gifhorn wahrgenommen. Mithin beschränkt sich dabei das Aufgabenspektrum auf die Prüfung der Einhaltung bundes- und landesrechtlicher Vorschriften. Die Durchsetzung entwicklungspolitischer Vorstellungen der Gemeinde ist nicht Aufgabe der Bauaufsichtsbehörde.

 

Das kommunale Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde ist jedoch gemäß Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz ein grundgesetzlich geschütztes Rechtsgut. Bauvorhaben können grundsätzlich räumliche Entwicklungsvorstellungen der Gemeinde und damit das kommunale Selbstverwaltungsrecht tangieren. Aus diesem Grund wurde durch den Bundesgesetzgeber das gemeindliche Einvernehmen gemäß § 36 BauGB in das Baugesetzbuch aufgenommen. Die Entscheidung über die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens obliegt als Geschäft der laufenden Verwaltung grundsätzlich dem zuständigen Fachbereich 60. In Fällen von besonderer städtebaulicher Bedeutung kann die Entscheidung als Beschlussfassung durch den Rat erfolgen.

 

Das gemeindliche Einvernehmen hat den Zweck, die Planungshoheit der Gemeinde bei allen Baugenehmigungen nach

 

  • § 31 BauGB (Ausnahmen und Befreiungen),
  • § 33 BauGB (Vorhabenzulässigkeit während der Planaufstellung),
  • § 34 BauGB (Vorhabenzulässigkeit innerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile) oder
  • § 35 BauGB (Bauen im Außenbereich)

 

zu schützen.

 

Der Regelungsinhalt des § 36 BauGB erstreckt sich dabei nicht auf Bebauungsplangebiete gemäß § 30 Abs. 1 BauGB, da diese sowieso den planerischen Willen der Gemeinde wiedergeben und die dort getroffenen Festsetzungen eingehalten werden müssen.

 

Grundsätzlich ist jedoch festzuhalten, dass die Gemeinde kein allumfassendes Veto-Recht hat. Das bedeutet in der Praxis, dass das gemeindliche Einvernehmen, wenn es unrechtmäßig versagt wurde, gemäß § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB durch die zuständige Behörde (hier: Landkreis Gifhorn) ersetzt werden kann.

 

Der Einvernehmensspielraum der Gemeinden erstreckt sich ausschließlich auf das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäß den §§ 31, 33, 34 und 35 BauGB. Das bedeutet, dass durch die Gemeinde, welche ihr Einvernehmen geben muss, ausschließlich städtebauliche Belange in den Blick genommen werden dürfen. Es handelt sich somit ausschließlich um öffentliche Belange, wie sie insbesondere in § 35 Abs. 3 BauGB aufgeführt werden. Privatrechtliche Partikularinteressen wie z.B. nachbarschaftliche oder wirtschaftliche Belange werden hiervon nicht erfasst. Dabei bestehen bei der bauaufsichtlichen Prüfung der Zulässigkeitskriterien gemäß § 35 BauGB sowie bei der Erteilung des Einvernehmens durch die Gemeinde keine Ermessensspielräume. Ein Vorhaben ist demnach zulässig oder nicht zulässig. Eine Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens ist deshalb nicht rechtmäßig, wenn sie sich z.B. auf zukünftige entwicklungspolitische Vorstellungen der Gemeinde als Verweigerungsgrund stützt.

 

Bauordnungsrechtliche oder sonstige Vorschriften können nur ein Verweigerungsgrund sein, wenn sie Tatbestandsmerkmale der §§ 31-35 BauGB sind und somit einen städtebaulichen Bezug haben. Dies sind z.B. immissionsschutzrechtliche Belange gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB.

 

Insgesamt ist darauf hinzuweisen, dass eine umfassende Prüfung der Tatbestandsmerkmale über die Zulässigkeit eines Vorhabens ausschließlich der Bauaufsichtsbehörde obliegt. Die Gemeinde kann sich bei der Versagung des Einvernehmens jedoch auf sie berufen soweit sie städtebaulicher Natur sind. Ein „Abarbeiten“ aller öffentlichen Belange im Detail durch die Gemeinde im Rahmen des gemeindlichen Einvernehmens ist in der Praxis jedoch so nicht vorgesehen und mithin nicht praktikabel.

 

 

Die konkrete Beurteilung des in Rede stehenden Vorhabens zur Errichtung von zwei Putenställen im Außenbereich von Müden (Aller) dürfte eine Einstufung als privilegiertes Vorhaben im Außenbereich gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ergeben. Da das Vorhaben über eine öffentliche Straße und ein kleines Teilstück eines gemeindlichen Wirtschaftsweges erschlossen werden soll, ist die Erschließung ausreichend gesichert. 

 

Im vorliegenden Fall hat die Beurteilung nach § 35 Abs. 3 BauGB jedoch ergeben, dass öffentliche Belange dem Vorhaben entgegenstehen.

 

Nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB stehen einem nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegiert zulässigem Außenbereichsvorhaben öffentliche Belange u. a. dann entgegen, wenn es schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann. Dazu gehören auch Geruchsimmissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen.

 

Nach dem Gutachten des Ingenieurbüros Prof. Dr. Oldenburg vom 11.11.2020 (20.307) wird am Immissionsort 3 (IO 3) (Tierarzt B) unter Berücksichtigung des Vorhabens eine Häufigkeit der Jahresgeruchsstunden von 33,9 % erreicht. Die Vorbelastung beträgt 30,3 % und die Zusatzbelastung 3,6 %. Der Gutachter kommt zu dem Ergebnis, dass die Belastung durch die geplante Anlage zumutbar sei, weil ein Richtwert von 25 % der Jahresgeruchsstunden schon durch die eigene Tierhaltung der Tierarztes B überschritten werde.

 

Für die Beurteilung der Zumutbarkeitsgrenze zieht die Rechtsprechung als Orientierungshilfe die Geruchsimmissionen-Richtlinie (GIRL) heran. Anerkannt ist auch, dass bei der Bestimmung der Zumutbarkeit etwaige Vorbelastungen schutzmindernd zu berücksichtigen sind, wenn der Standort schon durch eine vorhandene emittierende Nutzung vorgeprägt ist. Im Umfang der Vorbelastung können Immissionen zumutbar sein, auch wenn sie sonst in einem vergleichbaren Gebiet nicht hinzunehmen wären.

 

Für den Außenbereich regelt die GIRL nicht ausdrücklich einen Immissionswert. Nach der Begründung und den Auslegungshinweisen zur GIRL ist auch im Außenbereich zunächst der für Dorfgebiete geltende Immissionswert von 0,15 (15 % der Jahresgeruchsstunden) für Tierhaltungsgerüche maßgeblich. Bei Vorliegen besonderer Einzelumstände kann im Außenbereich auch ein Immissionswert bis 0,25 zumutbar sein.

 

Ganz ausnahmsweise werden auch über 25 % liegende Belastungen als zumutbar eingestuft. Das setzt voraus, dass die Vorbelastung bereits die Schwelle von 25 % der Jahresgeruchsstunden überschreitet und die bereits "zu hohe" Geruchsbelastung durch das betreffende Vorhaben vermindert oder allenfalls nicht wahrnehmbar erhöht wird (siehe dazu u. a. OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.04.18, 12 LA 83/17; BVerwG, Urt. v. 27.06.2017, 4 C 3/16).

 

Vorliegend wird die Schwelle von 25 % der Jahresgeruchsstunden laut Gutachter bereits durch die Vorbelastung überschritten (30,3 %). Lägen die vorgenannten weiteren Voraussetzungen vor, könnte das Vorhaben daher zulässig sein. Allerdings führt das geplante Vorhaben zu einer deutlich wahrnehmbaren Erhöhung der Geruchsbelastung. Die Zusatzbelastung beträgt 3,6 %. Damit wird die sogenannte Irrelevanzschwelle von 2 %, die allerdings ohnehin nur gilt, wenn die Immissionswerte eingehalten werden, deutlich überschritten.

 

Daher liegt eine nicht zumutbare Erhöhung der Geruchsimmissionen am IO 3 (Tierarzt B) vor, die für sich genommen schon zur Unzulässigkeit des Vorhabens führt.

 

Auch liegt keine sog. „Schicksalsgemeinschaft“ vor, bei der in besonderen Ausnahmefällen u. U. höhere Immissionswerte zumutbar sein können. Die Vorbelastung resultiert aus eher „angenehmen“ Gerüchen von Pferden und Rindern (Gewichtungsfaktor nach GIRL 0,5). Die durch das Vorhaben hinzukommenden Gerüche stammen von einer anderen Tierart und gehören zu den Gerüchen, die als am stärksten belästigend empfunden werden. Daher werden sie in der GIRL mit einem Faktor von 1,5 gewichtet.

Es gibt daher keinen von der Rechtsprechung anerkannten Grund, der die deutliche Überschreitung der Immissionswerte rechtfertigen könnte.

 

Hinweis:

 

Die Entscheidung über das gemeindliche Einvernehmen wird im vorliegenden Fall, insbesondere aufgrund des großen öffentlichen Interesses und der kontrovers geführten Diskussionen über das Vorhaben, als Ratsbeschluss gefasst.

 

Die Schwelle zur Durchführung eines Verfahrens nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz ergibt sich erst ab 15.000 Mastplätzen.

(vgl. Nr. 7.1.4.2 der Vierten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetztes (Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen) – 4. BImSchV)

 

 

Folgende Beteiligungsverfahren wurden eingeleitet:

 

Beteiligung von Kindern und Jugendlichen:

NEIN

Beteiligung des Seniorenbeirates:

NEIN

 

 

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Finanzielle Auswirkungen:

 

 

Die Vorbereitung über die Entscheidung des gemeindlichen Einvernehmens erfordert Kosten in Höhe von ca. 3.000,00 Euro inkl. Mehrwertsteuer für die fachliche Begleitung durch die Rechtsanwaltskanzlei Appelhagen aus Braunschweig sowie durch das Sachverständigenbüro Haverkamp-Immissionsschutz aus Liebenburg.

 

 

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Anlage/n:

Anschreiben Versagung gemeindliches Einvernehmen

Übersichtsplan

 

 

Anlagen:  
  Nr. Name    
Anlage 1 1 Übersichtsplan_ (785 KB)      
Anlage 2 2 Versagung des gemeindlichen Einvernehmens (97 KB)      
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